Auf halber Höhe, es sind noch etwa 150 Höhenmeter, kommen mir die ersten Gipfelstürmer entgegen. Das junge polnische Pärchen ist schon beim Abstieg. Vor Tagesanbruch sind sie auf den Vihren gekraxelt, von der anderen Seite. Ihre Stirnlampen leuchten noch. Als ich Agata und Tymoteusz darauf hinweise, lächeln sie. „Ups, die haben wir wohl vergessen“, erwidern sie auf Englisch.
Dann steigen sie weiter ab, ich weiter auf. Immer wieder packe ich in den Felsen. Ein bisschen klettern. Der Puls nimmt Fahrt auf, ich atme etwas schneller, ich fühle mich lebendig, kräftig, gut. Nur wenige Meter. Das Terrain wird allmählich etwas flacher. Im steinigen Untergrund krallen sich in dieser Höhe nur noch wenige Flechten und Moose fest.
Der Gipfel ist erreicht. Ein Kreuz gibt es nicht. Nur eine Art Turm. Die weiß-grün-rote Nationalflagge flattert im Wind. Auf der etwas zerbeulten Blechtafel steht Вихрен – Vihren 2.914m. Bulgariens zweithöchster Berg nach dem Musala im gegenüberliegenden Rila-Gebirge.
Ich bin nicht allein. Eine Gruppe Bergläufer hat Teil eins ihrer Trainingseinheit hinter sich gebracht. Sie schnaufen, trinken einen Schluck Wasser und bitten mich, ein Foto von ihnen zu machen, bevor es wieder hinuntergeht zur Vihrenhütte. Wir kommen ins Gespräch. Die jungen Sportlerinnen und Sportler sind Skifahrer. Sie bereiten sich auf die kommende Saison vor. „Wir warten auf den ersten Schnee“, sagt Deniza in fließendem Englisch. „Die Nächte sind ja bereits recht kühl.“ Dann schaut sie in den strahlend blauen Spätsommerhimmel. Obwohl es schon Vormittag ist, leuchtet die Mondsichel etwas kraftlos. Ich frage die junge Frau, ob ihr Name ein bulgarischer sei. Sie nickt.
„Und was bedeutet er?“ Deniza lächelt etwas verlegen. „Ich bin mir nicht sicher. Aber meine Eltern haben mir gesagt, er bedeutet so viel wie Morgenstern.“ Gibt es Zufälle?
Das sieht ja auch wie eine wunderbare Landschaft aus. Und wenig überlaufen klingt natürlich erst recht attraktiv … Schön, mal wieder was vom Blauen Tiger zu sehen 🙂