Doch jetzt, also damals vor 15 Jahren, schien sie sich aufgelöst zu haben. Die Tiefe, die Höhe – machten sie mir wirklich nichts mehr aus? Auf dem Gipfel der Kreuzspitze ging ich ein paar Schritte umher und schaute bewusst nach unten. Okay: Respekt. Aber kein Schwindelanfall, keine Angst. Dafür Überraschung, Ungläubigkeit, Gänsehaut, Zittern. Nicht weil ich fror. Ich setzte mich auf einen Stein und weinte. Ich schmetterte einen Juchitzer in die Bergwelt.
Einen Schrei der Befreiung und der Freude. Tränen rannen über das Gesicht. Salzig, sehr schmackhaft. Ein Hochgenuss. Dieser Augenblick, diese emotionale Achterbahnfahrt, hat sich in mein Hirn eingebrannt. Die Höhenangst verschwunden, wie so viele andere Ängste auch. Mein Gedanke damals: „Das ist also mein neues Leben. Cool.“ Als ich kürzlich wieder in Vent weilte, war ich mit dem Extremkletterer Thomas Huber für eine Produktion verabredet. Meine Erinnerungen im Kopf hatten wir Zeit zum Austausch. Auch für den Älteren der „Huberbuam“ ist das Bergsteigerdorf ein besonderer Platz.
„Das war eine wundervolle Tour„
Bergsteiger Thomas Huber
„Hier hat mein Leben in Richtung Bergsteigen ein prägendes Erlebnis bekommen,“ erzählte Thomas. Gemeinsam mit seinem Bruder Alexander und seinem Vater war Huber das erste Mal auf wirklich hochalpiner Tour unterwegs. 40 Jahre ist das her. Hinauf zum Similaun, zur Fineilspitze, zur Weißkugel. Große Ötztalrunde also. „Das war eine wundervolle Tour“, schwärmt der Alpinist mit leuchtend feuchten Augen. „Der Anfang quasi für mein wildes Leben.“ Ich sehe Thomas an. Er schaut offenbar gerade in sein tieferes Ich. Er ist gerührt. Dann geben wir uns die Hand und drücken zu. Kräftig. Wortlos. Wissend. Ich erzähle meine ganz persönliche Geschichte zu Vent. Huber spitzt die Ohren. Dann atmet er tief ein, wieder aus und flüstert: „In den Bergen ist Freiheit. In jeglicher Hinsicht.“ Kein Wunder, dass Hubers Buch genau diesen Titel trägt. Ein wunderbares Buch. Ehrlich, fein und voller Emotionen. Ein Leben für und in den Bergen.