Audienz bei Mister Mountain
In der Domstadt klingelt mein Handy erstmals seit Tagen. „Büro Messner hier. Morgen könnte er um halbzwölf.“ Mister Mountain hat Zeit für mich, den Alpenquerer. Ich nehme ausnahmsweise die Bahn für die 25 Kilometer nach Bozen. Im Mountain-Museum steht Messner vor mir. „Ich habe nur eine halbe Stunde“, sagt der 70-Jährige etwas gehetzt. „Sie gehen also zu Fuß von Maribor nach Monaco?“, will Messner wissen. „Ein langer Weg, nichts für mich.“ Das sagt der Mann, der alle 8000er bestiegen und alpinistisch Unmögliches möglich gemacht hat. Am Ende sitzen wir 90 Minuten zusammen, plaudern über Grenzen und wie man sie verschieben kann. Messners Devise: „Immer ruhigen Schrittes – Kalipe. Das ist Tibetisch.“
Drei Landesgrenzen habe ich bisher überschritten, persönliche nicht, weder mental noch körperlich. Das wird so bleiben, auch wenn es manche nicht glauben. Menschen fragen mich immer wieder: „Fängst Du nicht an, Berge zu hassen?“ Klare Antwort, auch nach drei Wochen: Nein! Je länger ich unterwegs bin, umso mehr verschmelze ich mit meiner Umgebung. Wie könnte ich hassen, was mich besänftigt und glücklich macht?
Nicht jeder mag Stille, ich liebe sie
Berge sind für mich eine Energiequelle mit enorm vielen Kraftplätzen. Einer davon befindet sich in den Sarntaler Alpen nördlich von Bozen. Wenige Menschen gibt es hier, blaue Kornblumen-Wiesen und mit dem „Stoarnen Mandl“ einen wunderbaren Aussichtsgipfel. Nicht spektakulär hoch, aber ein Berg für Menschen, die Weite lieben. Tibetische Gebetsfahnen, Buddha-Statuen, hunderte Steinmännchen und ein Blick über die Südtiroler Bergwelt bieten sich hier. Erhaben, wuchtig und zum Teil Schnee bedeckt liegen die Kuppen, Spitzen und Grate vor mir. Groß und still – mit Worten kaum zu fassen.
Nicht jeder erträgt Stille, ich liebe sie. Nur der Berg und diese fantastische Sicht auf die Welt da unten. Ich bin alleine, aber ganz und gar nicht einsam. In Meran gönne ich mir einige Ruhe-Tage. Eine gute Gelegenheit, die Klamotten zu waschen. Der Staub und Schweiß von vier Wochen müssen weg. Auf ins zweite Drittel, durch das Vinschgau. König Ortler mit seiner weißen Kuppe ist auf Sichtweite. Äpfel und Wein prägen diesen Landstrich. Diese Spitze lasse ich aus. Die ganz hohen Berge kommen für mich ja noch. An der Sesvenna-Hütte im Ober-Vinschgau treffe ich Wirt Andi Pobitzer. Das Haus ist offiziell noch gar nicht offen. Aber für einen Alpenquerer wie mich macht Pobitzer eine Ausnahme. Er kennt die Sehnsucht nach den Bergen. Jedes Frühjahr freut er sich auf die Hüttensaison. „Hier fühle ich mich frei.“ Ich nicke, schlafe im Winterraum und mir gehen die Geschichten über die Schmuggler in dieser Region durch den Kopf. Bis in die 1970er Jahre hinein tauschten sie Waren mit den Nachbarn aus der Schweiz. Rudolf Peer war auch als Schmuggler aktiv. Die Grenzer haben ihn nie erwischt.
„Ex-Schmuggler Rudolf Peer aus Schlinig“
Wieder allein, aber trocken und gut versorgt mit Speckknödelsuppe und Apfelstrudel. Ja, ich habe großen Appetit und noch größeren Hunger auf Land und Leute.
Die Pfiffe der Murmeltiere wecken mich. Sehr früh starte ich ins Engadin, in den Garten des Inn. Gämsen bewachen die Eingangstür in die Schweiz: Sie stehen auf den Felsvorsprüngen am Tor zur Uina-Schlucht. In den steinernen Tunnels der Klamm liegt noch das Eis vom Winter. Das tosende Wasser der Uina hat sich senkrecht in den Stein gefressen. Schwindelfreiheit und Trittsicherheit sind von Vorteil, sonst wird der Spaß zum Albtraum.