Eine halbe Stunde später windet sich der Steig in engen Serpentinen hinauf. Auf das kleine Plateau, auf dem das Haus – zunächst als Jagdhütte – vom britischen Industriellen Frederick Richard Simms im Jahr 1907 errichtet worden war. Stolz thront sie dort auf gut 2000 Metern. Und ich bin fasziniert, als ich sehe, welche Nachbarn gerade zu Besuch sind: eine große Gruppe Steinböcke. Ich mache Rast und schaue den stolzen Tieren zu. „Irre“, denke ich, „fast wären die Steinböcke zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts im gesamten Alpenraum ausgerottet worden.“ Jetzt gibt es in zahlreichen Berggegenden wieder stabile Populationen. Auch hier im Lechtal.
Noch ein paar Kehren und schon stehe ich vor dem großen Haus aus Felssteinen. Rote, gelbe und blaue tibetische Gebetsfahnen flattern im Wind. Eine dünne Schneeschicht bedeckt Tische und Stühle auf der Terrasse vor der Hütte. Die Saison geht ihrem Ende entgegen. „Grüß Gott“, öffne ich die Tür. „Ja, der Jörg, schee, dass do bischt“, lacht mir Charly Wehrle in seinem schwäbisch Allgäuer Dialekt entgegen. Der 68-Jährige steht in der Küchentür und trocknet sich die feuchten Hände an der Schürze ab. „Willst was trinken?“ „Oh ja, eine Apfelschorle wäre fein.“ „Kein Schnapserl?“ „Nö, danke. Ich trinke keinen Alkohol.“ „Auch gut! Komm‘ rein.“
Ich ziehe meine Stiefel aus, schnappe mir ein paar Hüttenlatschen und folge Charly in die Küche. „Hier, die musst du kosten.“ „Kürbis- Kartoffelsuppe?“, frage ich. Charly nickt. „Muss da noch Salz dran?“ „Nö“, ich finde sie lecker so.“ Der Hüttenwirt rührt noch einmal mit dem großen Löffel in dem riesigen Topf, der auf dem Herd steht. „Viele Leute sind heute nicht mehr da“, sagt Wehrle. „Die Linda und drei Jungs aus dem Stuttgarter Raum.“