Eine gute Stunde später erreichen wir wieder die Frederick-Simms-Hütte. Charly empfängt uns mit Kaffee und Kuchen. „Das geht auf’s Haus, so zum Saisonabschluss.“ Ende September schließt die Hütte. Dann ist sie bis zum nächsten Juni dicht. Charly bewirtschaftet das Haus seit nunmehr sechs Jahren. 2011 rief ihn die DAV-Sektion Stuttgart an. „Da hab‘ ich ja gesagt“, schmunzelt er. Denn eigentlich war Wehrle schon im Ruhestand, nach mehr als 30 Jahren als Hüttenwirt. 1978 startete er im Winter mit der Stuibenhütte und im Sommer mit der Oberreintalhütte im Wettersteingebirge. Im Jahr 1986 übernahm er die Reintalanger-Hütte oberhalb von Garmisch-Partenkirchen und unterhalb von Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze. 23 Jahre lang lenkte er die Geschicke des großen Hauses, schrieb Bücher und sorgte für einen wahrhaft klangvollen Namen der Hütte in der Welt der Bergsteiger und Wanderer. Dank seines Hackbrettes.
2009 sagte Charly der Reintalangerhütte ade‘, widmete sich seiner kleinen Tochter und der Familie. Er restaurierte einen Bauernhof im Allgäu, recherchierte für sein siebtes Buch (Sturz ins Glück) und erhielt den Anruf aus Stuttgart. „Jetzt bin ich eben wieder Hüttenwirt!“
Einer, dem dieser Beruf auf den Leib geschneidert zu sein scheint. Einer, dem das Wohlergehen der Besucher wichtig ist und einer, der (wie vielleicht kein Zweiter) seine Gäste früh morgens sanft aus dem Schlummer holt.
„Ja, der musikalische Weckruf ist die erste Meditation des Tages für mich!“, sagt Charly. Er kniet auf den Stufen des hölzernen Treppenhauses. Vor sich das Hackbrett. Der Mann sammelt sich, wirkt andächtig, beseelt. Er lächelt und beginnt zu spielen.
Ich lausche den weichen und warmen Klängen. Dennoch habe ich Gänsehaut. Nicht, weil draußen noch Dunkelheit herrscht. Nicht, weil der Wind pfeift und es kühl ist. Wehrles musikalischer Weckruf berührt mich, lässt mich alles andere als kalt. Die Klänge zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht. Der Weckruf ist hörbare Zufriedenheit, die Melodie der Berge. Die Lechtaler Alpen sind einfach schön. Was macht es da schon, dass draußen Winter herrscht. Die Nacht hat 20 Zentimeter Neuschnee gebracht.