Tanja Scholz weiß das inzwischen sehr genau. Der Reitunfall hat ihr das auf tragische Weise klargemacht. Anders als der kleine Prinz geht die Schwimmerin nicht in die Wüste, sondern wieder ins Wasser. „Das ist eben mein Element“, sagt sie. „Schon in der Unfallklinik bin ich um das dortige Therapiebecken herumscharwenzelt. Ich hatte das Gefühl: Das Wasser ruft mich.“ Doch die Ärzte sind skeptisch. Erst als die Physiotherapeutin hört, dass die junge Frau als Jugendliche Leistungsschwimmerin war, willigen die Ärzte ein.
Zunächst geht Tanja Scholz unter wie ein Stein. Von der Brust an hat sie kein Gefühl mehr, kann die Muskeln nicht ansteuern. Doch wie durch ein Wunder fühlt sie sich sicher, kann sich bewegen, kommt an die Oberfläche und atmet. Die Arme beginnen zu kraulen… „Mein biomechanisches Gedächtnis hat fast alles gespeichert“, freut sich die H2O-lerin. Noch vor kurzem machte für sie kaum etwas Sinn. Jetzt, im Wasser, kehrt das Leben zurück. Die Energie, die Tanja Scholz so dringend braucht. Für ihr neues und anderes Leben.
„Inklusion sieht anders aus“
Dass sie zwei Jahre später bei den Paraschwimm-Weltmeisterschaften auf Madeira erfolgreich am Start sein würde: Das wusste sie damals nicht. Was sie aber wusste: „Ich kann schwimmen. Recht gut sogar. Ich trainiere wieder.“ Trotz ihrer Querschnittslähmung und trotz vieler Hindernisse. Im Elmshorner Hallenbad kann sie nicht ihre Bahnen ziehen. Das Personal beruft sich nach Scholz‘ Aussage auf die Hausregeln. Demnach dürfen die Schwimm-Meister außer im Notfall behinderte und nicht behinderte Menschen nicht berühren.
„Sie konnten mir auch nicht behilflich sein, überhaupt ins Wasser zu kommen“, erinnert sie sich kopfschüttelnd. „Inklusion sieht anders aus. Ich war ziemlich traurig und sauer.“ Doch aufgeben kommt für Tanja nicht in die Tüte. Sie und ihr Mann weichen nach Itzehoe aus. Dort begrüßt sie das Personal mit offenen Armen und stellt eine Bahn zur Verfügung. Inzwischen trainiert die Schwimmerin fünfmal pro Woche, jeweils eineinhalb bis zwei Stunden. Gelegentlich fährt das Paar bis Neumünster (ca. 60 Kilometer), um dort das Programm abzuspulen. Ex-Trainer Bernd Berkhahn, der inzwischen in Magdeburg arbeitet, stellte vor längerer Zeit den Kontakt zu Kirsten Bruhn her. Sie ist eine von Deutschlands erfolgreichsten Paraschwimmerinnen. Dreimal Paralympisches Gold und zahlreiche andere Medaillen gewinnt die Rollstuhlfahrerin in ihrer Karriere. Kirsten und Tanja verstehen sich auf Anhieb. Bruhn und ihr Vater Manfred schreiben der Elmshornerin künftig die Pläne.
Das Training läuft immer besser. Tanja Scholz findet zu neuer Stärke. Allerdings nicht in der Brustlage, sondern über die Freistilstrecken. Im Frühjahr 2022 qualifiziert sie sich für die Paraschwimm-WM auf Madeira. Nur zwei Jahre nach dem Unfall. Über 50m, 100m und 200m gewinnt sie Gold. Über 150m Lagen (ohne Schmetterling) und 50m Rücken gibt es jeweils Silber. Ein Comeback, „das eigentlich gar keins war.“ Denn Schwimmen mit Querschnittslähmung ist ganz anders als das, was Tanja Scholz von früher kannte. Der Vortrieb kommt ausschließlich aus den Armen. Beim Kraulen etwa braucht es ein paar Momente, bis die Rollstuhlfahrerin den linken Arm halbwegs kraftvoll einsetzen kann. Diese Dysbalance gleichen Ehrgeiz und Disziplin aus. „Das ist ein bisschen wie bei einer Nähmaschine. Erst ein bisschen Einfädeln und ein paar Probestiche, dann rattert das Zickzack“, lacht Tanja. Je länger die Strecke, desto besser kommt sie in Schwung.
Danke an den schwimmenden Reporter für diesen Bericht!! Es ist immer spannend zu lesen, zu welchen Leistungen Menschen in der Lage sind !! Und an Tanja gerichtet: suuuuuuuper!!!
Danke Dr. T., ich denke, dass Tanja das gut tun wird. Mir sowieso… 😉
Sehr schön geschrieben, lieber Jörg. Wie kommst Du nur an so interessante und bewundernswerte Menschen. Einfach großartig. Re. La.
Danke dir. Tanja ist eine bemerkenswerte Frau…