Ein Dickkopf im Dieksee

Ein Dickkopf im Dieksee

 7. April 2019

Kalt, klar, konzentriert

Inzwischen haben Christine und ich eine kleine Landzunge entdeckt. Seicht geht es hier in den See. Das Wasser ist klar. Auf dem Grund erkenne ich den Sand, die Zweige und die Blätter, die über den Winter in den See gefallen oder vom Wind dort hineingeweht wurden. „Ausziehen“, feixt Christine. „Ausziehen.“ Ich bin ausnahmsweise brav und folge artig.

„Ich darf da jetzt gar nicht lange drüber nachdenken“, entgegne ich. Raus aus den Plünnen. „Und rein da.“ Wenn ich mich recht entsinne, war ich das letzte Mal vor fast fünf Monaten in so kaltem Wasser. Gut, seit meiner Rückkehr aus Indien Ende Januar, wo das Arabische Meer satte 30 Grad und mehr hatte, ging ich mich regelmäßig in das Sauna-Tauchbecken. Aber das hat gerade mal 11 bis 12 Grad, ist zumindest für mich nicht wirklich kalt. Aber der Dieksee, der ist eine andere Nummer. Heute zumindest.

Runde eins ging schnell

Die weiße Badekappe übergestreift, in die Schwimmbrille gespuckt und die Badehose zugebunden, wate ich ins Wasser. Oha. Joa, es kribbelt erst an den Zehen, an den Füßen, an den Unterschenkeln, am Buch und letztlich, als es tief genug ist, auch am Oberkörper. Ich merke, wie sich meine Atmung beschleunigten möchte. Ich halte bewusst dagegen. Konzentration. Tief Luftholen, langsam ein und ausatmen. Nochmal. Brille zurechtrücken. Nochmal. Abtauchen. Ruhe bewahren. Das ist das A und O. Aushalten. Losschwimmen. Nur ein paar Züge.

Und raus aus der Kälte?

Brrrr. Hammer. Ich stehe auf. Drehe um und wackele zum Ufer zurück. Christine schaut etwas irritiert. „Na, doch zu kalt?“ Ich stöhne leicht und räuspere mich laut. „Yepp, ist schon zapfig! Ich schätze mal zwischen fünf und acht Grad.“ Ich denke kurz nach. Das kann doch nicht angehen. „Da kommste extra hierher, um ins kalte Wasser zu steigen. Und dann das“, geht es mir durch den Kopf. „Na, dann komm raus und zieh dich wieder an“, rät mir meine Partnerin.

Bin ich bekloppt? Manchmal schon!

Das Gegenteil mache ich.  Dickkopf. Was ich mir in den Kopf gesetzt habe, das mache ich auch. Meistens jedenfalls.  Also mache ich kehrt und wate wieder in den See. Noch einmal von vorn.  Atmen. Abtauchen.  Auftauchen. Atmen. Abgehen. Atmen. Schwimmen. Atmen. Kraul, Rücken, wieder Kraul. Atmen. Die Finger kribbeln. Es sticht. Atmen. Akkupunktur am ganzen Körper. Ganz ohne Nadeln. Das Herz schlägt. Atmen. Die Gedanken sind für diese kurzen Momente so klar. Nur auf das ausgerichtet, was gerade geschieht. Volle Konzentration. Atmen. Der Augenblick ist so intensiv, wie das Leben nur sein kann. Alles andere ist weg, sehr weit weg. Atmen. Ich bin so dicht bei mir, wie ich es gerne öfter wäre. Jetzt, nicht gestern, nicht morgen, nicht später.  Atmen. So dicht. Dichter als das Ufer.

Ich bin froh, dass ich nicht so weit hinausgeschwommen bin. Ich kraule ans Ufer, atme etwas schneller als sonst. Fühle mich kräftig, richte mich auf und leuchte krebsrot in der späten Nachmittagssonne. Christine hält mir das Handtuch hin. „Ist alles gut?“ fragt sie besorgt. Ich überlege kurz. „Pah, das war heute echt hart. Aber mir geht es super! Ich glaube, ich habe den Geist von Malente gesehen. Er lebt im Dieksee und zeigt sich vor allem etwas bekloppten Wasserratten.“

 

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