Die Lust an der Last

Die Lust an der Last

 10. September 2022

Gut 200 Höhenmeter tiefer fließt bereits der Schweiß. In Strömen. Die ersten paar Hundert Meter liegen hinter den Trägern. Die Männer schauen schmerzverzerrt auf den Pfad. Die angeschwollenen Adern pochen. Jacub atmet schwer, sein Mund ist weit aufgerissen. Vor einer Brücke zischt er kurz: „Pah, das wird heute nix.“ Kuro Lipták hat Jacub bereits überholt, obwohl der Bergführer zwei Minuten nach dem Ingenieur gestartet ist.

Wildes Wasser am beschwerlichen Weg

Kurz vor einem Wasserfall macht Lipták eine Verschnaufpause. Sein ursprünglich hellrotes T-Shirt ist nun dunkelrot und klitschnass. Die Oberschenkel zittern, über das Gesicht strömen Rinnsale aus Schweiß. Ein Schluck aus der Wasserflasche. Mit einem Lappen wischt sich der 49-Jährige über den Kopf. Tunnelblick. Wie bei einem Boxkampf. Pumpend hockt der Kämpfer auf einem Stein.

Taumelnde Tatra-Türme im Tal

Nur ein paar Augenblicke, dann geht er in die nächsten schweren Runden. Nur noch steil bergauf. Mit 100 Kilogramm auf dem Buckel. Eine gute halbe Stunde über Stock und Stein und über glitschige Wurzeln. Vera Malachotska ist bereits weiter oben. Auch sie schnauft kräftig. Immer wieder blickt sie auf den zurückgelegten Weg. Da unten taumeln einige „Tatra-Türme“ auf Beinen durch die Landschaft. Das hoch Gestapelte erfordert viel Balance. „Da bin ich mit meinen 30 Kilogramm im Rucksack gut bedient“, scherzt Vera und springt davon wie eine Gämse. Diese Wildziegen leben hier tatsächlich, genauso wie Luchs, Bär, Wolf, Dachs und Adler. 

„Die Hohe Tatra ist in weiten Teilen Biosphärenreservat der UNESCO“, erklärt Martin Matúšek. Der Ausbilder für die Bergführer kennt sich hier aus wie kaum ein Zweiter. Der Mann nippt an seinem Bier und steht auf der Terrasse der Zamkovský Hütte. Die ersten Trägerinnen und Träger nähern sich dem Ziel. Etliche Zuschauer sind hierher gepilgert, um die Sherpas gebührend in Empfang zu nehmen. Sie klatschen und feuern an. 

Martin Matúšek kennt die Tatra wie seine Westentasche

Vera winkt den Zuschauern fröhlich zu und strahlt. „Das könnte mein künftiger Beruf werden. Zwar verdiene ich nicht so viel wie als Biochemikerin, aber ich möchte draußen in der Natur sein, als Wanderführerin und Sherpina.“ Das Einkommen als Trägerin wäre in der Tat nicht üppig. Etwa einen Viertel Euro gibt es je geliefertes Kilogramm. Bei 30 Kilo macht das gerade mal 7,50 Euro aus. Aber ums Geld dreht es sich bei den Sherpas in der Tatra auch nicht wirklich. Es geht eher um die innere Zufriedenheit.

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