Oktober 1913. Noch ist der erste Weltkrieg nicht ausgebrochen. Doch für Paul Preuß, im August desselben Jahres erst 27 geworden, bahnt sich eine Tragödie an. Der junge Mann klettert am Mandlkogel im Salzkammergut. Er befindet sich im oberen Abschnitt der Nordkante. Es wird Paul Preuß‘ letzte luftige Kletterei. Er stürzt in den Tod.
„Das ist die Tragik seines viel zu kurzen Lebens,“ wie Reinhold Messner in der Biographie über den Ausnahme-Kletterer schreibt. „Preuß war einer der besten Alpinisten seiner Zeit. Vor allem aber ein glänzender Denker.“ Ein kluger Kopf, der gewisse Leitsätze formuliert hat, die für viele Bergsteigerinnen und Bergsteiger bis heute Gültigkeit haben. Vor allem dieser Kernsatz. „Das Können ist des Dürfens Maß.“ Dieser Spruch stammt nicht ursprünglich von Preuß, „aber er hat die von Ludwig Purtscheller aus dem 19. Jahrhundert aufgestellte Formel verfeinert, ergänzt und immer wieder betont“, erklärt, Reinhold Messner, der auch Ehrenvorsitzender der Paul-Preuß-Gesellschaft ist.
„Das Können ist des Dürfens Maß“
Paul Preuß
„Das Können ist des Dürfens Maß gilt nicht nur für das Bergsteigen. Wenn man sich dem nicht stellt, dann ist der frühe Tod eine ziemlich wahrscheinliche Angelegenheit. Aber das gilt für das ganze Leben, für uns alle“, so Messner
Paul Preuß kommt am 19. August 1886 in Altaussee in der Steiermark zur Welt. Als Sohn des jüdischen Klavierlehrers Eduard Preuß und dessen Frau Caroline. Preuß wächst mit seinen zwei Schwestern in Wien auf. Mit sechs Jahren leidet der Junge an einer infektiösen Lähmung. Zeitweise sitzt er im Rollstuhl. Mit seinem Vater unternimmt Preuß nach überstandener Krankheit kleinere Wanderungen. Dabei entdeckt er seine Liebe zur Natur. Mit elf Jahren geht der Teenager immer öfter in die Berge und entwickelt sein Talent für’s Klettern.
(IPPG Archiv)
In seinem kurzen Leben macht Preuß mehr als 1.200 Fels-, Ski- und Hochtouren. Darunter 150 Erst-Begehungen und 300 Besteigungen im Alleingang. Er verzichtet so gut es geht auf Sicherungs- und Hilfsmittel, sogar das Abseilen lehnt er ab. „Kein Wunder, dass Preuß bis heute als einer der geistigen Väter des Freikletterns gilt und als extrem vielseitiger Alpinist“, sagt Reinhold Messner. „Er war nicht nur ein exzellenter Alpinist – er war ein Allrounder. Er ging im Eis, er ging im kombinierten Gelände, er ging im Fels. … Er war ein lustiger Mann, er hat sehr gut geschrieben und war promovierter Biologe…“