Der nächste Tag: Annika und ich sind wieder früh unterwegs. Wieder erst um den See, wieder hinauf zum Sattel und dann bergab. Noch tiefer in die bulgarische Bergwelt hinein. Richtung Pirinhütte, die sich auf der Südseite des gesamten Gebirges befindet. Unser Ziel aber lautet Demjanitza-Hütte. „Etwa fünf Stunden werdet ihr brauchen“, hatte uns Valentin zum Abschied gesagt. Danielka schaute ganz traurig. „Ich würde gerne mitkommen, ich muss aber wieder nach Sofia an die Uni.“
Annika und ich sind jetzt alleine auf dem Weg. Latschen und Wacholdersträucher säumen den Pfad. Weiter unten qualmt es aus dem Schornstein einer Almhütte. Hundegebell und Kuhglocken. Die Saison geht auch hier ihrem Ende zu. Die meisten Blumen sind schon verblüht. Die Blätter an den Blaubeer- und Preiselbeesträuchern färben sich rot.
Silberdisteln schimmern mattgrau. Und doch leuchtet die Vegetation irgendwie im Spätsommerlicht. Annika tanzt über den Pfad. Sie inhaliert die klare Luft, bleibt immer wieder kurz stehen und schaut. „Papa, das ist total schön. Vor allem die Stille gefällt mir. In der Hütte und am Polezhan waren mir zu viele Menschen.“ „Vielleicht versteht du jetzt, warum ich die Berge so mag. Einfach gehen, vor sich hin trotten, schauen, atmen, sich treiben lassen,“ flüstere ich fast. Um nach einer kurzen Pause hinzuzufügen: „Frei sein.“
Annika und ich wandern weiter. Schweigend durch die Berglandschaft. Hier ein Bächlein, da ein Tümpel, dort ein weiterer See. An einer Weggabel biegen wir nach Westen ab und steigen wieder bergan. In der Ferne wartet schon die Dzhangalska Porta. In steilen Kehren führt der Weg zu dem Übergang auf gut 2.400 Metern. Hinter der Scharte funkelt der Valjavischko See. Tiefblau, etwas verwunschen, sehr still. Wieder Zeit für eine Pause.
Annika sitzt auf einem Felsblock und schaut in den Kessel des Hochtals. Sie mag jetzt nicht sprechen. Das ist gut so. Ihr gefallen diese Landschaft, die Ruhe, diese Tour. Nach einer Weile aber bricht sie ihr Schweigen. „Eigentlich gehe ich ja lieber Surfen und bin am Meer. Aber das hier gefällt mir auch. Danke, dass du mich mitgenommen hast.“
Ich freue mich und habe eine Träne im Auge. „Weißt du, was noch viel schöner ist?“, frage ich. Annika schaut mich fragend an und schüttelt den Kopf. „Nein!“ „Dass wir diese Tour gemeinsam machen.“ Dann umarmen wir uns und steigen ab. Unten am See rasten wir noch einmal und lassen die Seele baumeln. Eine halbe Stunde lang, oder war es eine Stunde? Ist doch egal. Tochter und Vater sind sich nah, auch ohne zu reden. Ein Geschenk. Blagodarya! Das ist Bulgarisch und bedeutet: Danke!
Super Bericht … weiter so
Danke und natürlich…