Wenn es zu arg regnet oder schneit, erzählt Papa Jan, „gehe ich alleine. Weil es für die Kinder sonst echt zu ungemütlich wäre.“ „Und gefährlich“, ergänzt Gerti. „Hier oben auf über 2.000m ernsthaft zu erkranken, ist bestimmt kein Vergnügen.“ Ein Arzt? Fehlanzeige. Dörfliche oder gar städtische Zivilisation? Weit weg. Hubschrauber? Zu teuer und nur für den äußersten Notfall. „Wir wissen uns immer irgendwie zu helfen“, verrät Gertraud Brugger. Ein- bis zweimal die Woche fährt sie ins Tal.
Dann wäscht sie Klamotten und Bettzeug, liest analoge und digitale Post, kümmert sich um Ab- und Anreise von Gästen, die den von ihr betriebenen Kesslerstadel in Matrei besuchen. Und sie geht Einkaufen. Holt all das aus dem Supermarkt, was „bei uns in der Hütte gebraucht wird.“ Windeln, Grillanzünder oder Kerzen. Auf der Froßnitzalm gibt es kaum ein mobiles Netz. Nur an bestimmten Stellen kann man eine SMS empfangen oder telefonieren. Internet existiert nicht. Maschendraht statt drahtloses Web, damit Kühe, Kälber und Ochsen nicht einfach ins Nachbartal marschieren.
„Der Rundgang dauert schon mal sieben Stunden“
Almhalter Jan Rademann
Das Almgebiet, das Gerti und Jan betreuen, ist riesig. Bergig, steil, zum Teil schroff und landschaftlich atemberaubend schön. „So ein Rundgang kann schon mal sechs bis sieben Stunden dauern“, berichtet Jan. „Kommt halt darauf an, wohin sich das Vieh verkrochen hat, um die besten Kräuter abzumähen.“ Ist es zum Beispiel besonders heiß, steigen die Tiere automatisch weiter in die Höhe, weil es da oben gleich ein paar Grad kühler ist. Von Jahr zu Jahr ein bisschen höher. Die Erderwärmung sorgt dafür, dass die höheren Lagen im Sommer nahezu komplett schneelos sind.
Vom schrumpfenden Gletscher im Venedigermassiv ganz zu schweigen. Gut und gerne zwei Kilometer hat der einstige Eisriese in den vergangenen Jahrzehnten von seiner Länge verloren. Und doch bietet sich etwa am Löbbentörl auf 2.800m ein gigantischer Ausblick auf die weißen Berggipfel Osttirols. Nur wenige Meter unterhalb von der Scharte liegen die Kühe in der Wiese und zermalmen genüsslich Gräser und Kräuter. Höhenluft macht offensichtlich Appetit. So ein Aufstieg kostet Kraft. „Das traut man den großen und manchmal schwerfällig wirkenden Tieren gar nicht zu“, hebt Gerti hervor. „Aber die sind absolut berggängig.“
Je länger die Rinder auf der Alm sind, desto trittsicherer und geländetauglicher sind sie. Wie die Hirtenfamilie. Sie stapft nun schon zwei Stunden über ausladende Wiesen, steile Hänge entlang und über Felsen. Immer wieder bleibt das Gespann stehen und lauscht. „Kuhhirte hat viel mit Hören zu tun“, weiß Jan Rademann und folgt dem Gebimmel der Kuhglocken Richtung Nordwesten.