Es ist frisch, eine dichte Wolkendecke schiebt sich über den Norden Südtirols. Kalter Wind bläst über die Berge, nicht gerade Kaiserwetter. Aber es es regnet nicht. Morgen soll es Schnee geben. Also los. Denn die vergangenen Tage waren nicht gerade besonders bewegungs-intentsiv. Mir blieb kaum Zeit, mich wandernd oder bergsteigend auszuleben.
Hanspeter Eisendle erzählte mir eine kleine Geschichte zu seiner Heimat. „Die Gipfel im Pflerscher- und Pfitschertal haben den französischen Geologen Déodat de Dolomieu offenbar dazu inspiriert, die weißen Spitzen und Felsen näher zu inspizieren. Das weiße Gestein fasziniert ihn.“ So wird aus meiner Wanderung zum Weißspitz auch eine kleine alpingeschichtliche Tour. Auf den Spuren Dolomieus. „Komm auffi“, ruft mir der Berg zu, „es lohnt sich.“ Kurz nach dem Frühstück starte ich, setze mich in den Bus und fahre zum Braunhof, einer Jausenstation. Sie liegt auf rund 1350 Metern Seehöhe, oberhalb von Schmuders.
„Also gehe ich auch“
Von der Bushaltestelle wende ich mich zunächst nach Nordosten. „Zur Weißspitze gut viereinhalb Stunden“, steht auf dem Wegweiser. Jetzt zögere ich kurz. „Viereinhalb Stunden für den Aufstieg, retour nochmal sicher drei Stunden? Zu lang, zu viel, zu anstrengend?“ Im Tal hatten sie von rund zweieinhalb Stunden hinauf gesprochen. Schnell schiebe ich die Bedenken zur Seite. „Jetzt bin ich hier, also gehe ich auch.“
Obwohl in der Unterkunft doch jede Menge Arbeit liegt. Im Grunde starte ich genau deswegen. Es ist keine Flucht vor dem, was getan werden müsste, dürfte, sollte. Die Zeit des Gehens und Steigens gleicht eher einer Art kreativer Kulturhygiene für Körper, Geist und Seele. Bergtouren haben durchaus etwas reinigendes. Das mag sich auch Déodat de Dolomieu gedacht haben.